Die Himmelsscheibe von Nebra
Seit einigen Jahren ist uns ein einmaliges Zeugnis astronomischer Kenntnisse der Bronzezeit vor 3600 Jahren bekannt - die Himmelsscheibe von Nebra wurde gefunden. Raubgräber entdeckten sie 1999 auf dem Mittelberg nahe Nebra in Sachsen-Anhalt. Sie verkauften das wertvolle archäologische Fundstück auf dem Schwarzmarkt, und womöglich hätte die Weltöffentlichkeit nie von ihrer Existenz erfahren. Dem Leiter des Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie Sachsen-Anhalts, Harald Meller, gelang es glücklicherweise, die Bronzescheibe zurückzuholen.
In monatelanger Kleinarbeit wurde nun der jahrtausende alte Schmutz entfernt. Nach und nach kamen goldene Ornamente zum Vorschein, Symbole, die uns sofort an eine Darstellung des Sternenhimmels denken lassen.
Was der Erfinder der Himmelsscheibe mit ihr bezweckte bzw. ausdrücken wollte, wissen wir nicht, denn es lag ja keine Gebrauchsanleitung dabei. Wir können nur Vermutungen anstellen und hoffen, dass wir damit richtig liegen. Die Scheibe zu deuten ist ein beliebter Sport, und es existieren inzwischen die wildesten Spekulationen.
Sogar Sternbilder wurden auf der Scheibe gesehen, obwohl die Goldpunkte doch sehr gleichmäßig darauf verteilt sind. Eine andere Deutung sieht in den Goldpunkten rund um den großen Vollkreis Zählmarken, die den Bewegungsrhythmus der Venus darstellen sollen.
Die Darstellung hier zeigt die Scheibe, wie sie ausgesehen haben mag, bevor sie im Erdboden versteckt wurde. Die Originalscheibe ist an einer Stelle des Randes beschädigt (das waren die Raubgräber mit ihrem Werkzeug beim Ausbuddeln).
Außerdem fehlt der linke Bogen. Sein Abdruck aber ist noch vorhanden. So ließ sich der ursprüngliche Anblick der Scheibe rekonstruieren. Warum die Scheibe vergraben wurde ist unbekannt. Vielleicht sollte sie Feinden nicht in die Hände fallen. Vielleicht starb ihr Besitzer, und die Scheibe wurde ihm mit ins Grab gegeben. Allerdings wurden in ihrer Nähe keine Knochen gefunden.
Die Erweiterungen der Himmelsscheibe
Folgendes können wir mit Sicherheit von der Scheibe berichten: Sie hat einen Durchmesser von 31 bis 32 cm und wiegt 2kg. Sie besteht aus Bronze und wurde aus einem Bronzefladen hergestellt, der breitgeklopft wurde, solange er noch heiß war. Alle Ornamente der Scheibe bestehen aus Gold. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass die verwendete Goldlegierung nicht bei allen Ornamenten gleich ist. Das weist darauf hin, dass die Scheibe nachträglich mehrmals verändert und einiges hinzugefügt wurde. Wieviel Zeit zwischen den einzelnen Ergänzungen verging wissen wir nicht.
Zuerst waren Vollkreis, Sichel und 32 Punkte vorhanden. | Später wurden die seitlichen Bögen angebracht. | Wieder später kam der untere Goldbogen hinzu. | Ganz zum Schluss wurde die Scheibe rundum gelocht. |
Die Oberfläche der Scheibe ist heute grün, was sich auf die Korrosion der Bronze in den vergangenen 3600 Jahren zurückführen lässt. Ursprünglich muss die Scheibe dunkelbraun oder vielleicht sogar schwarz gewesen sein - dunkel wie der Nachthimmel. Dazu bildeten die goldenen Ornamente einen wunderschönen Kontrast, die Darstellung erschien gleich dem funkelnden Sternenhimmel.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist einzigartig. Kein derartiges Kunstwerk aus vorgeschichtlicher Zeit wurde je gefunden. Die Himmelsscheibe ist auch noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: sie stellt ganz konkret Objekte des Himmels dar und wurde vermutlich nicht nur als Kultgegenstand verwendet, sondern ganz praktisch als tragbares Observatorium, um die Tage der Sonnenwenden zu bestimmen und den Frühlingsbeginn herauszufinden.
Auch der Fundort Mitteleuropa ist ungewöhnlich, weil aus dieser Gegend zur Bronzezeit keine Hochkultur bekannt ist, die bereits über umfangreiche astronomische Kenntnisse verfügt. Die Himmelsscheibe zeugt von erstaunlich detailliertem Wissen in der damaligen Zeit. Wir sollten wohl besser unseren Vorfahren mehr zutrauen als bisher.
Was stellt die Himmelsscheibe denn nun dar?
Die großen Symbole könnten als Sonne und Mondsichel interpretiert werden. Allerdings müsste dann die Mondsichel andersherum stehen, damit die Sonne die richtige Seite des Mondes beleuchtet.
Genauso gut könnten es auch der Vollmond und die teilverfinsterte Sonne während einer Sonnenfinsternis sein. Oder es ist der Vollmond und die zunehmende Mondsichel.
Der untere Bogen
Einfacher lassen sich die Bögen deuten. Der Bogen am unteren Scheibenrand erinnert von seiner Form und den Verzierungen an den Rändern her an ein Schiff, das durch viele Ruder bewegt wird. Derartige Schiffsymbole sind aus Skandinavien bekannt oder auch aus Ägypten.
In der Vorstellung der alten Ägypter wird die Sonne während der Nacht unter dem Horizont mit einer Barke vom West- zum Osthimmel zurückgebracht, damit sie dort von neuem aufgehen kann. Vielleicht erzählten ja ägyptische Händler von dieser Idee, als sie in die Gegend um Nebra kamen, und die Mitteleuropäer übernahmen sie einfach in ihr eigenes Weltbild.
Die Horizontbögen
Die Bögen rechts und links der Scheibe markieren einen Winkel von 82,5 Grad und entsprechen damit genau dem Bereich, in dem innerhalb eines Jahres die aufgehende Sonne am östlichen Horizont bzw. die untergehende Sonne am westlichen Horizont zu sehen ist. Wenn diese Deutung richtig ist, zeugt sie von sehr genauen Beobachtungen des Sonnenlaufs.
Aber auch vom abstrakten Denkvermögen der Menschen in der Bronzezeit erfahren wir hier, denn sie bilden etwas ab, das nicht als Objekt existiert. Die Bögen sind eine Aneinanderreihung der Aufgangspunkte der Sonne am Osthorizont und der Untergangspunkte am Westhorizont, und das über den Zeitraum eines ganzen Jahres!
Der Sternhaufen
Die kleinen Goldpunkte sind recht gleichmäßig auf der Scheibe verteilt, Sternbilder sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Auffällig aber sind 7 Punkte, die eng beisammen stehen und einem Sternhaufen gleichen.
Der bekannteste Sternhaufen sind die Plejaden im Sternbild Stier, die auch als Siebengestirn bezeichnet werden. In vielen alten Kulturen waren sie bekannt und wurden als Wettergestirn angesehen. An ihrer Stellung am Himmel konnte der richtige Zeitpunkt der Aussaat im Frühjahr festgestellt werden.
Wenn es im Frühling abends dunkel wird, stehen die Plejaden schon tief am Westhorizont und gehen kurz danach unter. Der zunehmende Mond zieht als schmale Sichel an ihnen vorüber. Vielleicht sehen wir genau das auf der Himmelsscheibe. Für die Bauern war dies das Zeichen, dass der Winter nun endgültig vorbei ist und sie die Saat ausbringen können, ohne dass sie erfriert.
Im Herbst dagegen erscheinen die Plejaden nach monatelanger Abwesenheit wieder am Himmel. Kommt der Mond im Herbst an ihnen vorbei, zeigt er sich als Vollmond. Auch dieser Zeitpunkt könnte auf der Scheibe dargestellt sein. Die Plejaden symbolisieren also möglicherweise Beginn und Ende der bäuerlichen Tätigkeiten auf den Feldern.
Die Himmelsscheibe von Nebra ist ein wunderbares Beispiel für die Zusammenarbeit in zwei unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen: Archäologie und Astronomie waren hier gleichermaßen gefragt.
Die Himmelsscheibe kann im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle besichtigt werden. Ein sehr empfehlenswertes Buch zu diesem Thema ist 'Der geschmiedete Himmel' von Harald Meller. Darin erfährst du nicht nur alle Details zur Scheibe, sondern auch wie die Menschen in Mitteleuropa vor 3600 Jahren lebten und was sie uns hinterlassen haben.