Friedrich Georg Wilhelm Struve -
Gründer des Zentralobservatorium der Russischen Akademie der Wissenschaften in Pulkovo bei Sankt Petersburg
Die Gründung dieser wissenschaftlichen Einrichtung wurde am 07. (nach dem gregorianischen Kalender, 19. nach dem damals in Russland noch geltenden julianischen Kalender) August 1839 vollzogen und jährt sich im August 2014 zum 175. Male. Der Gründer und erste Direktor dieser altehrwürdigen Einrichtung war der am 15. April 1793 in Altona bei Hamburg geborene Astronom Friedrich Georg Wilhelm Struve.
Struve studierte in Dorpat, dem heutigen Tartu in Estland, Philologie und schloss 1811 seine Studien ab. Schon während dieser Studienjahre wandte er sich mit großem Fleiß und Hingabe den mathematisch- physikalisch- und astronomischen Wissenschaften zu, was dem Rektor der Dorparter Universität, Prof. Parrot, nicht unbekannt blieb.
Er war es, der Struve riet, die bevorstehende Karriere als Philologe nicht weiter zu verfolgen, sondern sich ganz und gar der Astronomie und den angrenzenden Wissenschaften zu widmen.
Enge und freundschaftlichen Verbindungen der Familie Struve zu dem damals bekannten Astronomen Heinrich Christian Schumacher taten ein Übriges, dass der junge Philologe dem Rat von Prof. Parrot folgte und bereits im Jahre 1813 mit einer wissenschaftlichen Arbeit über die präzise geographische Positionsbestimmung des Dorparter Observatoriums Aufsehen erregte.
Mit dieser in astronomischer Hinsicht wichtigen Arbeit trat er erstmals in Erscheinung und erhielt bereits Ende 1813 eine außerordentliche Professur an der Dorparter Universitätssternwarte.
Neun Jahre später, im Jahre 1822, wurde F.G.Wilhelm Struve zum Korrespondierenden Mitglied der Sankt-Petersburger Akademie der Wissenschaften gewählt. Nach weiteren vier Jahren - 1826 - wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft der Sankt-Petersburger Akademie der Wissenschaften angetragen.
Vorbereitungen zum Bau des neuen Observatoriums
Bei den Mitgliedern der Russischen Akademie der Wissenschaften waren die Überlegungen zum Bau eines neuen und modernen Zentralastronomischen Observatoriums bis zum Jahre 1827 soweit gediehen, dass an die Umsetzung gedacht werden konnte. Das bislang vorhandene Observatorium, das sich zum damaligen Zeitpunkt in der `Kunstkammer´, mitten im Zentrum der Stadt Sankt-Petersburg befand, wurde durch zunehmende Vibrationen vorbeifahrender Equipagen (Lastengespanne) für wissenschaftliche Arbeiten immer unbrauchbarer.
Im Jahre 1830 wurde Struve zum Besuch der damals besten Observatorien der Welt ins Ausland gesandt, stattete nach Abschluss dieser Reise Zar Nikolaus I. einen ausführliche Bericht über das Gesehene ab und gab wichtige und entscheidende Hinweise zum geplanten Bau des neuen Zentralastronomischen Observatoriums.
Zar Nikolaus I. war von diesem Bericht derart beeindruckt, dass er ihm die Gründung dieses Observatoriums antrug. Zwei Jahre später, im Jahre 1832, wurde er gewähltes Mitglied der Sankt-Petersburger Akademie der Wissenschaften und nahm von Dorpart aus an der Arbeit des Gremiums zum Bau des neuen Observatoriums teil.
Bei all diesen zusätzlichen Arbeiten vernachlässigte Struve nicht seine wissenschaftlichen Arbeiten an der Dorparter Universitätssternwarte und bezeichnete Dorpart als seine Heimatstadt. So wurde das dortige Obsevatorium zum Modell für das spätere Zentralastronomische Observatorium in Pulkovo.
Die Entscheidung für die Auswahl des Standortes dieser neuen Einrichtung fiel auf die kleine Ortschaft Pulkovo, die nur rund 20 km von Sankt-Petersburg entfernt und nur 8,5 km von der Sommerresidenz der Zarenfamilie in Tsarskoye Selo entfernt liegt und sich durch eine 75m hohe Erhebung von seinem Umland unterscheidet.
Ein Areal von 0,22 km2 Größe wurde als Geschenk des Zaren an die Akademie der Wissenschaften übergeben, und der zur damaligen Zeit bekannte und berühmte Architekt Alexander Brüllow realisierte Struves Ideen in so perfekter Weise, dass der Haupttrakt des Observatoriums aufs Allerbeste für die künftige wissenschaftliche Arbeit gerüstet war.
Die Zeremonie der Grundsteinlegung fand am 21. Juli des Jahres 1835 statt, und schon im Vorfeld wurde das künftige Instrumentarium nach genauen Anweisungen Struves in London, Berlin, Hamburg, München und Sankt-Petersburg in Auftrag gegeben und gefertigt. Einer seiner früheren Schüler aus der Dorparter Zeit mit Namen Pohrt wurde Struves Assistent und von ihm mit den Fragen der Lieferung des künftigen Instrumentariums betraut.
Zum Zeitpunkt der Lieferung der vier wichtigsten Instrumente - des ´Ertelschen Transit-Instrumentes´, des ´Ertelschen Vertikalkreises´, des ´Repsoldschen Meridiankreises´ und des ´Repsoldschen Transit-Instrumentes´- wurden die wissenschaftlichen Mitarbeiter Fuss, Sabler und sein ältester Sohn Otto Struve nicht nur mit dem genauesten Aufstellen und Justieren der Teleskope betraut, sondern gingen nach der Aufstellung mit großem Enthusiasmus - in neuen Observatoriumsräumen und neuesten Instrumenten - und im Bewusstsein der wissenschaftlichen Möglichkeiten und Perspektiven ans Werk.
F.W.G. Struve beschreibt in liebenswürdigen und detailreichen Worten in seinen Ausführungen zur Geschichte der Gründung des neuen Observatoriums - Discription de l` Observatoire central de Pulkova - die Installation all der neuen und höchst modernen Instrumente.
Das Observatorium Pulkovo nimmt auf vielfältigen
wissenschaftlichen Gebieten die Arbeit auf
Die Einweihungsfeierlichkeiten wurden am 07. (19.) August 1839 unter großer Anteilname der Repräsentanten der Stadt Moskau und zahlreicher Vertreter weiterer Städte Russlands, aber auch aller Mitglieder der Akademie der Wissenschaft, zahlreicher ausländischer Botschafter und ausgewählter Gelehrter der damaligen Zeit, begangen.
Zar Nikolaus I. ließ sich am 26. September 1839 in einer über zweistündigen Exkursion von Struve ausführlichst über die Einrichtung, die Instrumente selbst und über die wissenschaftlichen Arbeiten unterrichten und zeigte großes Interesse an der Organisationsform des Institutes.
Für seine umfangreichen Bemühungen beim Errichten des Zentralobservatoriums zeichnete ihn der Zar mit dem begehrten Orden des Heiligen Stanislaws aus und sicherte ihm ein besonderes Salär für ihn selbst, für seine Mitarbeiter sowie eine großzügige Finanzierung für die Hauptsternwarte Pulkowo zu.
Stellarastronomie
Durch die besondere klimatische und geografische Lage und auf Grund der erstklassigen technischen Ausstattung am Pulkovoer Observatorium wandte sich Struve in besonderer Weise der Stellarastronomie zu.
Obgleich im Pulkovoer Gründungsmanifest die regelmäßige und genaueste Beobachtung der Himmelskörper im Mittelpunkt des Interesses standen, kam der genauesten Vermessung des nördlichen Firmamentes und daraus folgend der Erstellung präziser Sternkataloge und Himmelskarten eine besondere Rolle zu.
Geodäsie
Die Geodäsie stand als weiteres Betätigungsfeld im Mittelpunkt des Interesses und so verläuft der ´Pulkowoer Nullmeridian´, eine zu Greenwich in Bezug gebrachte Längenkreis-Bestimmung, nicht von ungefähr genau durch den Zentralturm dieses Observatoriums.
Von dieser festgelegten Linie aus wurde in den Folgejahren gezielt und unermüdlich das gesamte Russische Reich vermessen und legte so die Grundlage für die spätere Prospektierung und erfolgreiche wirtschaftliche Erschließung der Bodenschätze im fernen Norden und Fernen Osten Russlands.
Die Mitarbeiter dieser Einrichtung hielten von Beginn an sehr engen Kontakt zur Hydrographischen Abteilung der Kaiserlich Russischen Geografischen Gesellschaft und so wurde in den ersten zwanzig Jahren des Bestehens des Zentralastronomischen Observatorium in Pulkovo diese Einrichtung auch zum Zentrum aller astronomisch - geodätischen Unternehmungen, die in Russland unternommen wurden. Als Beispiel für diese umfangreichen Tätigkeiten seien hier nur die Expeditionen zum Ural, nach Ostsibirien und an die Chinesische Grenze genannt.
Besondere Berühmtheit erlangte das Pulkovoer Observatorium mit seinen über 40 Jahre andauernden Untersuchungen und Messungen des Meridianbogens, wobei der südlichste Punkt an der Donaumündung und der nördlichste Punkt in Norwegen gelegen war.
Praktische Ausbildung von Studenten
Auch in der Lehrtätigkeit erlangte dieses neue Observatorium schnell hohe wissenschaftliche Wertschätzung, und so mussten zum Abschluss ihrer Ausbildung alle Studenten der Marineakademie einen zweijährigen Kurs an dieser Einrichtung absolvieren, die zu allen Zeiten in großzügiger Weise allen Studenten, nicht nur der Geodäsie und Astronomie des In- und Auslandes, zu Studien zur Verfügung stand.
Besonderen Wert hatte Struve schon zur Gründungszeit auf den Ausbau und die Komplettierung der Bibliothek gelegt, wobei allein bis zum Jahre 1865 die Zahl der zur Verfügung stehenden Fachliteratur auf 9200 Bände angestiegen war und weitere 9600 Dissertationen hinzuzurechnen sind.
Besonders stolz war Struve auf den Besitz zahlreicher und zudem noch äußerst rarer Manuskripte, wie zum Beispiel die des berühmten Astronomen Johannes Kepler. So nahm das Pulkovoer astronomische Zentralobservatorium schon zum damaligen Zeitpunkt einen besonderen Stellenwert in der Astronomischen Welt ein und erhielt in Fachkreisen den von Hochachtung geprägten Zusatznamen ´Die Astronomische Hauptstadt der Welt´.
Die Ära nach F.G.W. Struve
Nach arbeitsreichem Wirken, das durch zahlreiche Neuentdeckungen, vom Herausfinden neuartiger Beobachtungs- und Untersuchungsmethoden geprägt war, wobei hier nur stellvertretend die Untersuchungen der Milchstraße, die Entdeckung und exakte Rotationsbestimmung von 58 Doppelsternen, die Erstellung eines Kataloges von 3112 Doppelsternen und die Bestimmung von Sonnenbewegungsparametern genannt sein sollen, fand F.G.W. Struve in seinem ältesten Sohn Otto einen begabten und würdigen Nachfolger und übergab 1861 das Zepter an ihn. Otto Struve führte fortan diese berühmte Einrichtung mit geschickter Hand zu neuen wissenschaftlichen Ufern.
Die Gründung des Pulkovoer Observatoriums war für die Akademische Welt von derart großer Bedeutung und Wertigkeit, dass sehr schnell nach seiner Gründung reges Interesse an dieser neuen und zudem noch allerbest ausgestatteten Einrichtung zur Erforschung des Universums und deren Ergebnisse entstand. Zu allen wichtigen Astronomischen Instituten der damaligen Zeit wurden rege und für die wissenschaftliche Astronomie fruchtbringende Kontakte unterhalten und gepflegt.
Neuer Status und Vorbild für weitere Observatorien
Nach der Oktoberrevolution 1917, wurde dem Pulkovoer Observatorium eine zentrale Rolle in der wissenschaftlichen Astronomie der Sowjetunion zuteil. Es erhielt den Status eines Zentralobservatoriums. Diese neue Rolle beinhaltete besonders den Aufbau und die Betreuung der in den Folgejahren neu gegründeten Observatorien in der Ukraine, dem Kaukasus, Zentralasiens und in späteren Jahren auch die der Baltischen Staaten und in Südamerika.
Wenn es um die Konstruktion neuer Instrumente für diese angeschlossenen Einrichtungen ging, standen die Pulkovoer Wissenschaftler federführend zur Seite. Diese Hilfestellung galt in besonderer Weise auch für die Aus- Fort- und Weiterbildung des astronomischen Nachwuchses.
Sowohl die Novembertage der `Oktober - Revolution` von 1917, als auch die Oktober - Tage des Jahres 1919 zählen zu den schwierigsten und entbehrungsreichsten in der Geschichte dieser altehrwürdigen Einrichtung und wurden in ihren Auswirkungen nur noch durch die Belagerungszeit durch deutsche Truppen zwischen September 1941 und Januar 1944 übertroffen.
Zwischen 1917 und 1919 trugen Anhänger und Gegner der Oktoberrevolution schwerste Kampfhandlungen auf dem Gelände des Observatoriums aus und zogen die Einrichtung in starke Mitleidenschaft.
Nach den Revolutionswirren übertrug sich auf diese wissenschaftliche Einrichtung sehr schnell der Ruf, in der Astronomie weltweit führend zu sein. Im Jahre 1934 wurde das Pulkovoer Zentralobservatorium in die Akademie der Wissenschaft der UdSSR integriert und drei Jahre später wurde auch die angeschlossene Bibliothek eingegliedert.
Die Stalin-Ära
Wie unsicher und schwer die Zeit der sogenannten `Stalin Ära´, im Besonderen das Jahr 1934, für die am Zentralobservatorium arbeitenden Wissenschaftler war, soll stellvertretend am Beispiel des Astronomen und damaligen Direktors und Verfassers der in Fachkreisen bekannten und geschätzten ersten Ausgabe des zweibändigen Lehrbuches `A course in Astrophysics and Stellar Astronomie´, Boris Petrowitsch. Gerassimowitsch verdeutlicht werden. Er wurde auf Befehl Stalins verhaftet und in einem Schnellverfahren mit folgender, schriftlich überlieferter Begründung hingerichtet: „Der Wissenschaftler habe sich bei der Untersuchung von Sonnenfinsternissen schädlicher Aktivitäten schuldig gemacht“ .
Von den seinerzeit 20 verhafteten wissenschaftlichen Mitarbeitern dieses Observatoriums wurden neben Gerassimowitsch noch 6 weitere Wissenschaftler wegen angeblicher `Konterrevolutionärer Untriebe´ im Schnellverfahren von der sogenannten “Trojka“ abgeurteilt und hingerichtet.
Alle anderen wurden zu langen Haftstrafen verurteilt und in Konzentrations- und Internierungslager von GULAG verschleppt. Nikolai Alexandrowitsch Kosyrev, einer der erfolgreichsten Astronomen der Vor- und Nachkriegszeit, musste von 1937 an 48 unterschiedliche Internierungslager über sich ergehen lassen. Erst Mitte der fünfziger Jahre konnte er zum Hauptobservatorium Pulkowo zurückkehren.
Zerstörung und Neuaufbau
In der Zeit der Jahre andauernden Blockade der Stadt Leningrad durch Deutsche Truppen kam es durch groß angelegten Flächenbombardements und schwerster Artillerie - Feuerüberfälle seitens der angreifenden Verbände der deutschen Wehrmacht zur vollständigen Zerstörung des gesamten Observatoriumskomplexes und des Parkgeländes.
Noch bevor die Deutschen Truppen ihre schweren Angriffe starteten, wurden die Hauptinstrumente der Hauptsternwarte Pulkowo, darunter auch das weltgrößte und leistungsfähigste Linsenteleskop, mit einem Objektivdurchmesser von 76cm, in der Stadt Leningrad ausgelagert und entgingen so der Zerstörung und Vernichtung.
Gleiches gilt auch, dank des unermüdlichen Einsatzes der damaligen Bibliotheksdirektorin Elena Winterhalter und ihrer Mitarbeiterinnen für einen Großteil der mittlerweile weltberühmt gewordenen Bibliotheksbestände mit ihren äußerst seltenen Handschriften und Büchern des 15. - 19. Jahrhunderts, sowie die fundamentalen Werke auf dem Gebiet der praktischen Astronomie und Geodäsie.
Zu diesen wie durch ein Wunder geretteten Werke zählen auch die astronomisch wichtigen Werke des Bremer Arztes und Astronomen Heinrich Wilhelm Matthäus Olbers, 1758 - 1840, der sich unter anderem mit dem nach ihm benannten `Olbersschen (photometrischen) Paradoxon´ einen großen Namen auf dem Gebiet der Kosmologie machte.
Im Gegensatz zu dieser bis heute unfassbaren und zu verurteilenden Haltung Stalins, rigoros und von krankhaftem Wahn getrieben, 1937 gegen Mitarbeiter dieses Observatoriums vorzugehen, steht andererseits die Tatsache, dass schon im März 1945, also noch vor Ende des Zweiten Weltkrieges, von höchster Stelle aus der vollständige Wiederaufbau des Observatoriums nach den alten Plänen beschlossen wurde.
Federführend wurde der Architekt A.V. Schtschussjew mit dieser umfangreichen Arbeit betraut und wurde vom damaligen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, S.I. Vavilov, in besonderer Weise unterstützt. Eine weitere Rolle beim Wiederaufbau des Zentralobservatoriums spielte auch der damalige Direktor A.A. Mikhailov.
Wiedereröffnung im Mai 1954
Nach großen Anstrengungen in schwieriger Zeit, die bei einer solch großen und dem Erdboden gleichgemachten Einrichtung beim Wiederaufbau geleistet werden mussten, fand im Mai 1954 die offizielle Wiedereröffnung dieses altehrwürdigen Observatoriums statt.
Mit moderner Technik ausgestattet und im steten Bemühen, den modernen Erfordernissen gerecht zu werden, nahm diese wiedererstandene Einrichtung nach auch in körperlicher Hinsicht entbehrungsreichen Jahren unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, offizieller Würdenträger, Wissenschaftlern zahlreicher Fakultäten und ausländischer Gäste seine wichtige Arbeit erneut auf.
So wurden die in der Gründungsurkunde festgeschriebenen Forschungsrichtungen weiterverfolgt und entwickelt. Hinzu kamen fortan noch die genaueste Zeitbestimmung, ein Service zur Breitengradbestimmung (Zeit und Breitendienst) und die Untersuchung über die Schwankung der Geschwindigkeit der Erdrotation hinzu, die dem Streben der Geophysiker entgegenkamen.
Besonderen Stellenwert nahm auch der Informations- und Vorhersageservice über die Aktivität der Sonne ein. Gerade durch diesen Service wurden die Vorhersagen über die Ausbreitungsbedingungen der Radiowellen, die Einflüsse auf Wetter, Klima und die erdnahe Umgebung wesentlich unterstützt und erforscht.
Neu: die Satelliten-Astronomie
Neu hinzu kamen die radioastronomischen Instrumente sowie die wissenschaftlichen Untersuchungen in diesem neuen Fachgebiet. Schon vor dem Start des Satelliten “Sputnik“, gestartet am 04. Oktober 1957, begann die Entwicklung und Ausführung neuer Methoden der Satelliten Astronomie. All das drückt den Enthusiasmus der jüngeren Generation Astronomen aus, die diese extrem schweren und komplizierten Zeiten in der Geschichte Pulkovos überstanden.
Neben all diesen Tätigkeiten ist das Pulkovoer Observatorium auch die Wiege für bis heute zukunftsweisende Forschungsrichtungen gewesen. So wurde dort Pionierarbeit auch auf den Gebieten der Photographie, des Studium der Erdpolenbewegung, der Planetenbeobachtungen und der Sternspektra- und -helligkeitsbestimmung, geleistet.
Darüber hinaus wurden Wege beschritten, die bis zu ihrer erfolgreichen Erprobung für nicht möglich gehalten wurden, als da wären die speziellen Radioastronomischen Untersuchungen, die Kosmische Geodäsie und als besonders herausragende und weltweit anerkannte Leistung die Sonnenbeobachtung, die mit Hilfe eines an einen Ballon adaptierten Teleskops von der Stratosphäre aus gemacht wurde und bis lang unerreichte, detailreiche Strukturen auf der Sonnenoberfläche zu Tage förderte.
Weitere Meilensteine in der 175 - jährigen Geschichte des Zentralobservatoriums der Russischen Akademie der Wissenschaften sind das im Jahre 1970 in Betrieb gegangene und bis Mitte 1998 größte Spiegelteleskop der Welt mit einem Durchmesser von 6,0m, das Radioteleskop RATAN-600 im nördlichen Kaukasus, dessen Versuchsanlage bis heute im LPR (Large Pulkovo Radioteleskop) auf dem dortigen Observatoriumskomplex in Aktion ist, das `Latitude Laboratorium / Blagoveshchensk` und die `High Altitude Solar Station in Kislovodsk` mit seinem 53cm Koronographen, deren 50-jähriges Bestehen im Juni 1998 am Zentralobservatorium begangen wurde.
Bis Anfang 1980 waren 150 Wissenschafler, davon 15 mit einem von der Physikalisch - Mathematischen - Fakultät verliehenen Doktorgrad und 85 Kandidaten der Physikalisch - Mathematischen Wissenschaften am Observatorium tätig.
Erforschung der Sonne
Die Forschungen auf dem Gebiet der Sonnenphysik, der Sonnenaktivität und das Studium der sichtbar gemachten feinen Strukturen in unterschiedlichen Schichten der Sonnenatmosphäre und die daraus folgenden Studien des Magnetfeldes durch optische und radioastronomische Observationen nimmt bis zum heutigen Tag breiten Raum im Wissenschaftsbetrieb ein.
Einen gleich hohen Stellenwert kommt den Untersuchungen von Sternsystemen und ihrer Dynamik, der photometrischen und spektralen Klassifizierung von Sternen und Kugelsternhaufen und der Infrarotastronomie, zu.
Im Verlaufe der über anderthalb Jahrhunderte ausgeübten astronomischen Wissenschaft veröffentlichte dieses Observatorium zahlreiche wichtige Bücher und auch die Schriften `Izvestia Glavnoi Astronomicheskoi Observatorii v Pulkove´ und `Trudy´ , sowie das Bulletin `Solnechnye Dannye´ und `Catalogue of Solar Activity´ genießen einen weltweiten Bekanntheitsgrad.
Die Beziehungen Pulkovos zu anderen Astronomischen Instituten bezogen sich vor dem Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion nicht nur auf die früheren `Bruderländer´, sondern war seinerzeit weltumspannend, und so wurden zum Beispiel die Publikationen von 227 Observatorien, Instituten und Gesellschaften aus 36 Ländern angefordert.
In den vergangenen Jahren wurden von den am Pulkovoer Zentralobservatorium arbeitenden Wissenschaftlern große Anstrengungen auf dem Gebiet der Raumfahrtastronomie unternommen. So ist stellvertretend das Projekt “ISSO - Interplanetary Solar Stereoscopic Observatory “ zu nennen, das von den beiden Lagrange-Punkten aus das Sonne - Erdesystem beobachten soll.
Im Laufe der Jahre wurden an zahlreiche Pulkovoer Astronomen wichtige Ämter in der IAU `Internationalen Astronomischen Union´, dem Weltverband aller Berufsastromomen übertragen und damit die hohe internationale Wertschätzung der dort arbeitenden Wissenschaftler zum Ausdruck gebracht und unterstrichen.
Der für das Zentralinstitut entscheidendste, zudem noch schwierigste und folgenreichste Einschnitt der jüngsten Geschichte ist der Zusammenbruch der Sowjetunion, in dessen Verlaufe das Unterste nach oben gedreht wurde und unter der dieses altehrwürdige Observatorium in besonderer und mannigfacher Weise sehr zu leiden hat.
Trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion einhergingen, ist es gerade dem energischen, immerwährenden und nicht nachlassenden, mutigen Einsatzes des seit Anfang der 80er Jahre amtierenden und bis ins Jahr 2000 amtierenden Direktors, Prof. Dr. Victor K. Abalakin und seinen Mitarbeitern und Mitstreitern zu verdanken, dass diese weltweit anerkannte wissenschaftliche Einrichtung, trotz aller größter Schwierigkeiten arbeits- und funktionsfähig geblieben ist.
Mit fortschreitender Stabilisierung und nachfolgender Prosperierung Russlands nach der Umstrukturierung, gilt Pulkovo, das Hauptobservatorium der Russischen Akademie der Wissenschaften in der astronomischen Welt heute wieder als eine Forschungseinrichtung von hohem und ausgezeichnetem Rang, was nicht zuletzt dem heutigen Direktorat unter Professor Dr. Alexander Stepanov sowie allen dort arbeitenden Wissenschaftlern und Mitarbeitern zu verdanken ist.
Zum Gedenken an die Astronomen der Familie Struve wurden ein Impaktkrater auf dem Mond und der Asteroid (768) Struveana benannt.
Entnommen dem Vortrag '175 Jahre im Dienste der astronomischen Wissenschaft'
anlässlich der Gründung des Observatoriums Pulkovo
von Michael Passarge, August 2014
Bildnachweis:
Bild von F.G.W. Struve: Wikipedia
Bilder 1 und 2: Historische Aufnahmen, Bildrechte: MAO-Pulkovo
Bild 3: Der große Struve-Refraktor, Bildrechte: MAO-Pulkovo
Bilder 4 und 5: Von deutschen Truppen zerstörte Observatorium im 2. Weltkrieg - so sah die ganze Anlage nach der Belagerung von Leningrad aus, Bildrechte: MAO-Pulkovo
Bilder 7a und 7b: Das Pulkovo Observatorium nach dem Wiederaufbau, Vorder- und Rückansicht, , Bildrechte: MAO-Pulkovo
Winter-Foto vom Observatorium Pulkovo: Michael Passarge
Herr Passarge moderiert übrigens die monatliche Sendung "Sterne sehen und verstehen" bei osthessen-tv, hier zu sehen: osthessen-tv.de/spezial/sterne-sehen-und-verstehen